„Ich will endlich meine Chance an der Führungsspitze haben. Das, was die können, kann ich doch auch!“
Solche oder ähnliche Gedanken hört man nicht selten, insbesondere dort, wo ausgeprägtes Hierarchiedenken die Zusammenarbeit bestimmt. In diesen Organisationen erhalten Titel mit Worten wie „Vize“ oder „Stellvertreter“ einen schon fast negativen Beigeschmack. „Hat es für die Führungsspitze nicht gereicht?“ oder „Bei dem Alter noch in der zweiten Reihe – klarer Fall von Abstellgleis“, heißt es dann über den Flurfunk.
So wächst die Unzufriedenheit unter den Führungskräften der zweiten Führungsebene, angefacht von der quälenden Frage nach dem Wohin: „Wohin führt meine Karriere überhaupt? Eigentlich sollte ich doch schon viel weiter sein.“ In manchen Fällen kann diese Unzufriedenheit sogar zu Putschversuchen führen, die ein enormes Zerstörungspotential mit sich bringen.
Oft geht es dann schon längst nicht mehr um den Erfolg des Unternehmens im Sinne seiner Mitarbeiter und Kunden. Der resultierende Schaden für alle Beteiligten ist immens in diesem Nullsummenspiel.
Was aber, wenn man die Frage nach dem Wohin durch etwas Persönlicheres und potenziell Erkenntnisreicheres ersetzt: „Was will ich überhaupt? Fühle ich mich wohl in der zweiten Führungsebene?“
Nur, weil allgemeinhin angenommen wird, dass jeder automatisch die erste Geige spielen möchte, heißt es ja noch lange nicht, dass es auch so ist. Tatsächlich scheint es heutzutage äußerst ungewöhnlich für Führungskräfte, auch nur ansatzweise zuzugeben, dass sie als „zweite Geige“ durchaus glücklich sind und so den größten Mehrwert für ihr Unternehmen beitragen können. Und was, wenn jemand in der Tat zufrieden ist mit dem, was er hat und das auch noch zugibt?
„Du solltest die Position Deines Chefs wirklich wollen und es auch zeigen. Das zeugt von Ehrgeiz und Zielstrebigkeit“, wurde mir einmal entgegengehalten. Dieser bedauernswert kurzsichtige Blick berücksichtigt nicht die unternehmerische Notwendigkeit, den Mitarbeitern zu ermöglichen, ihr Bestes zu geben. Denn es sind die „Kräfte hinter der Führungsspitze“, die die Maschinen ölen und durch kollaboratives Arbeiten Erfolg sichern helfen – im besten Interesse ihrer Führungsspitze, der Angestellten und der Kunden.
Nirgends wurde dies besser analysiert und präsentiert als in Richard Hytners Buch „Consiglieri: Leading from the Shadows“, in dem er auf unterhaltsame und originelle Art und Weise demonstriert, dass Führungskräfte der zweiten Führungsebene, sogenannte „Consiglieri“ wie Hytner sie nennt, nicht automatisch Bürger zweiter Klasse sind, die sich dazu verdammt sehen, als frustrierte Ränkeschmiede im Unternehmen zu bleiben.
Ganz im Gegenteil. Diese Menschen führen ihre Organisationen und Kunden als höchst kreative, intelligente, starke und loyale Führungskräfte in enger Zusammenarbeit mit der Führungsspitze. Wie so oft ist hier die richtige Chemie zwischen der zweiten und der ersten Führungsebene Dreh- und Angelpunkt einer fruchtbaren Arbeitsbeziehung.
Eine zweite Führungsebene, die nicht hinter ihrer Führungsspitze steht und nicht weiß, wie man Meinungsverschiedenheiten in heiklen Situationen respektvoll und konstruktiv anspricht, kann nie Teil einer nachhaltigen Erfolgsgeschichte werden. Denn wie Hytner so treffend beschreibt, braucht man ganz unterschiedliche, sich ergänzende Fähigkeiten, ganz gleich auf welcher Seite des Spektrums man sich befindet.
Nicht jeder kann eine fähige Nummer Eins sein, genauso wenig, wie jeder eine brillante Nummer Zwei sein kann.
Seien Sie sich dessen bewusst, wie Sie am besten zum Erfolg Ihrer Organisation beitragen können.
Und seien Sie stolz darauf. Ein Titel ist nur ein Label. Wie wir sie mit Bedeutung füllen, ist das, was zählt.